Michael Paulwitz (JF): Das demontierte Recht (9.3.):
Härte ist unpopulär in einer Gesellschaft, die den unverbindlichen Diskurs und den fürsorglichen Gouvernantenstaat höher schätzt als Verantwortung. Wenn aber selbst Totschläger wieder und wieder mit lächerlichen Bewährungsauflagen frei aus dem Gerichtssaal spazieren, empört sich das Gerechtigkeitsempfinden.
… Der Erziehungsgedanke wurde ins Jugendstrafrecht eingeführt, um groben Unfug und Kleindelikte angemessen ahnden zu können, ohne auf die schiefe Bahn geratene Jugendliche gleich zu einer Knastkarriere zu verdonnern. Auf Kapitaldelikte und Schwerkriminalität sind Aufsatzschreiben, Sozialstunden oder pädagogische Erlebnisurlaube offenkundig nicht gemünzt. …
… Das Bürgertöchterchen, das im Drogeriemarkt einen Lippenstift geklaut hat, mag man mit unbequemen pädagogischen Maßnahmen wie Sozialstunden oder persönliche Schuldbekenntnis beim Geschädigten auf den rechten Weg zurückbringen.
Der jugendliche Intensivtäter aus dem Großstadtghetto, der nicht nur die zweite, sondern schon die zweiundzwanzigste „Chance“ zur Umkehr bekommt, wird damit kaum zu beeindrucken sein, wenn er von zu Hause noch türkische Väterweisheiten wie „lieber fünf kriminelle Söhne als eine verhurte Tochter“ im Ohr hat und ein ums andere Mal ohne fühlbare Strafe davonkommt.
Die Realitätsblindheit in der Praxis deutscher Jugendgerichtsbarkeit ist gewollt, weil sie ideologisch motiviert ist. Ein Ideologie-Strang, der hier zum Tragen kommt, ist der urlinke Glaube an die Allmacht staatlicher Pädagogik. Kein Problem, das nicht durch Erziehung und den Einsatz von Sozialarbeitern gelöst werden könnte; das Sein bestimmt das Bewußtsein und nicht die eigene Einsichtsfähigkeit oder die persönliche Verantwortung.
… Die verstorbene Jugendrichterin Kirsten Heisig hat es auf den Punkt gebracht: Es ist notwendig und möglich, gegen kriminelle, Staat und Rechtssystem verachtende Jung-Orientalen genauso rigoros vorzugehen wie gegen deutsche Neonazis in der mitteldeutschen Provinz.