Taktisches Symposion zum EKD-Desorientierungspapier

Gernot Facius (JF): Evangelischer Scherbenhaufen  (15.9.):

Die „Orientierungshilfe“ betrachtet Ehe und Familie nur als „Werke“ des Menschen. Der EKD-Rat reagiert auf die Kritik an dem Familienpapier mit einem Symposion. Es ist wie in der Politik: Widerstand soll zerredet werden.

Na also, es geht doch, könnte man meinen: Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) stellt sich nicht länger taub gegenüber der immer massiver werdenden Kritik an der mißratenen „Orientierungshilfe“ zur Familienpolitik und ist zu deutlichen Kurskorrekturen bereit.

Irrtum! Der jüngste Beschluß des höchsten repräsentativen EKD-Gremiums muß anders gelesen werden. Zwar wird der „weitere Diskussionsbedarf“ (Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider) nicht geleugnet, aber diese simple Erkenntnis zieht vorerst nur taktische, gesichtswahrende Konsequenzen nach sich. Eine Theologenkonferenz am 28. September in Berlin soll Grundsatzfragen vor allem zum evangelischen Bibel- und Eheverständnis diskutieren.

Propaganda für einen „erweiterten Familienbegriff“

Ein Verfahren, wie in der Politik tausendfach praktiziert: Knifflige, strittige Fragen schiebt man auf Symposien oder Fachkongresse ab, lädt Befürworter und Gegner ein, simuliert so Debattenfreude. Der Widerstand soll zerredet werden. Unmut wird kanalisiert und in Fußnoten gepackt. Schneider hat auch gar nicht erst den Versuch gemacht, dem Symposion eine Korrekturfunktion zuzuweisen. Es gehe um die Kommentierung und Einordnung des Papiers. Schluß! Aus!

Zum Hintergrund: Die im Juni veröffentlichte „Orientierungshilfe“ propagiert einen „erweiterten Familienbegriff“, der auch Patchwork-Lebensgemeinschaften und homosexuelle Paare umfaßt, das Leitbild Ehe verschwindet im Nebel soziologischer und sozialpolitischer Formulierungen (die JF berichtete mehrfach). In den Worten von Schneider: „Die in der Diskussion aufgeworfenen theologischen Kernfragen bedürfen immer wieder der Schärfung und Vermittlung. Es ist eine Stärke unserer evangelischen Kirche, sich in strittige gesellschaftliche Fragestellungen hineinzubegeben und auf der Höhe der Zeit dem Evangelium gemäß zu leben.“

Eine Spaltung quer durch die Kirche

Ein verräterischer Satz. Aus einem Leben auf der Höhe der Zeit wird leicht Zeitgeist-Surfen. Das sehen nicht nur die üblichen Verdächtigen so, die theologisch Konservativen unter den Protestanten, der Protest gegen das Papier kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Eine bundesweite Initiative um den badischen Pfarrer Hans-Gerd Krabbe fordert nach wie vor die Rücknahme der „Orientierungshilfe“, die Unterzeichner sind „keine Ewiggestrigen oder Ultrakonservativen“ (Krabbe).

Das ist nachgerade sensationell, deutet es doch eine Spaltung zwischen „unten“ und „oben“ in der Kirche an. Und daß Schneiders Stellvertreter, der sächsische Landesbischof Jochen Bohl, selbstkritisch einräumt, „daß die unverändert große Bedeutung der Ehe in dem Papier zu kurz kommt“, und der Bischofsrat der hannoverschen Landeskirche eine „vertiefte theologische Reflexion“ vermißt, spricht ebenfalls Bände.

Erstmals ein Homosexuellen-Paar kirchlich getraut

Es ist ein Armutszeichen für die „Kirche des Wortes“, daß sie auf eine zentrale Frage wie die der Ehe und Familie weiter nur mit Wortgeschwurbel reagiert. Die Ehe, sagt Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, habe sich in ihren Formen stets gewandelt: „Es kommt auf die Werte an, die in Ehe und Familie gelebt werden.“ Muß man betonen, daß Jung unter Ehe nicht länger ausschließlich die Verbindung von Mann und Frau versteht?

In seinem Sprengel wurde erstmals ein Homosexuellen-Paar kirchlich getraut — nicht nur gesegnet. Dabei streitet Jung nicht ab, daß die Heilige Schrift Aussagen enthält, die gegen Homosexualität gerichtet sind: „Aber die Stellen in der Bibel haben nicht im Blick, daß Homosexualität, so wie wir sie heute sehen, eine Veranlagung ist, die nicht reversibel ist“, verteidigte er die „Orientierungshilfe“.

Evangelische Theologen ohne Bibelkenntnis?

Der Kirchenpräsident, ein promovierter Theologe, zählt zu den Autoren des Papiers. Deshalb wirkt, da hat idea-Chefredakteur Helmut Matthies den Nagel auf den Kopf getroffen, das Argument des Ratsvorsitzenden Schneider, man hätte vielleicht einen fachkundigen Bibelwissenschaftler in die Kommission berufen müssen, äußerst merkwürdig.

„Hat Jung etwa keine Bibelkenntnis? Es geht ja bei Fragen von Ehe und Familie nicht um wissenschaftliche Details. Bischöfe, Kirchenpräsidenten, Professoren und all die vielen Kirchenverantwortlichen, die sich mit theologischen Ehrendoktortiteln schmücken, kennen natürlich die Aussagen der Bibel. Wer um sie nicht wüßte, ist nicht einmal für ein Kirchenvorsteheramt geeignet …“ Verständnislos fragt Matthies: „Wie konnte es überhaupt sein, daß die Orientierungshilfe dreimal im Rat behandelt wurde und trotzdem verabschiedet wurde?“

Ehe und Familie nur noch „Werke“ des Menschen

Fragezeichen folgt Fragezeichen. Was ist die Ehe? Nach Martin Luther ein „weltlich Ding“, dem Reformator ging es um die Abgrenzung von der katholischen Lehre, die die Ehe als Sakrament versteht. Sie sei damit aber nicht außerhalb des göttlichen Bereichs, gibt der Bonner Theologe Ulrich Eibach zu bedenken: Es handele sich um „eine Stiftung Gottes, um einen göttlichen Stand geradezu“.

Doch die „Orientierungshilfe“ betrachtet Ehe und Familie nur als „Werke“ des Menschen, nicht aber als Gabe und Aufgabe Gottes, in denen der Glaube sich in der Liebe und Treue zu bewähren habe. Hierin liegt der Dissens, der ursächlich ist für den theologischen Scherbenhaufen. Philosophische, soziologische und feministische Theorien haben sich vor die biblische und reformatorische Tradition geschoben. Dabei wird es wohl bleiben. Trotz (Alibi)-Symposien.

Wie schaut es mit den „polyamoren“ Lebensformen aus?

Schon zeichnet sich eine weitere theologische Baustelle ab. Die EKD plant ein Papier zum Thema Sexualität. Im Deutschlandradio Kultur haben sich mit Eske Wollrad und Martin Rosowski Vertreter der evangelischen Frauen- beziehungsweise Männerarbeit zu Wort gemeldet, die für ein „Aufbrechen von Stereotypen“ plädieren, „weil wir uns mit den Normen der Heterosexualität und der Zweigeschlechtlichkeit zu sehr einengen“. Zweigeschlechtlichkeit sei nur ein „Konstrukt“.

Wen wundert es, daß beide Sprecher an ihre Kirche die Frage nach einer Wertschätzung punktueller sexueller Beziehungen und „polyamorer“ Lebensformen (Beziehungen zu mehr als einem Menschen gleichzeitig) stellen. Die EKD wird die Geister, die sie mit ihrer unausgegorenen „Orientierungshilfe“ gerufen hat, so bald nicht los.

Siehe dazu: https://kreidfeuer.wordpress.com/2013/07/08/ekd-desorientierungspapier/

Ergänzung 16.9.2013:

http://www.medrum.de/content/synode-der-ekd-soll-ueber-orientierungshilfe-familie-beschliessen  (16.9.):

… Die Initiative „Zehn Fragen an den Rat der EKD“ hat sich vor wenigen Tagen mit einer Eingabe an die Synode der EKD gewandt. Es soll ein Beschluss der Synode herbeigeführt werden, vom Rat der EKD die Rücknahme der »Orientierungshilfe: Familie« zu verlangen und eine neue Kommission einzusetzen.

Der badische Pfarrer Dr. Hans-Gerd Krabbe (Achern/Ortenaukreis), der eine bundesweite Aktion des Protestes gegen das EKD-Familienpapier initiiert hat, überreichte am 10. September 2013 eine Eingabe mit folgendem Wortlaut:

»Im Namen von 152 Unterzeichnenden bitte ich die Synode der EKD, Folgendes zu beschließen:

  1. Die Synode bittet den Rat, die am 19. Juni 2013 veröffentlichte Orientierungshilfe: ›Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken‹ umgehend zurückzuziehen.
  2. Die Synode bittet den Rat, eine neue Kommission, zu der ausgewiesene Theologie-Professoren gehören, einzusetzen mit dem Auftrag, mittelfristig eine theologische (nicht: soziologische) ›Orientierungshilfe: Familie‹ vorzulegen, die die Synode der EKD zu gegebener Zeit beschließt. Diese Orientierungshilfe soll die Kontinuität zur biblisch-reformatorischen Theologie wahren – der Gender-Ideologie wehren – das unaufgebbare Leitbild von Ehe und Familie im Mut machenden Sinn würdigen.«

Krabbe begründet die Notwendigkeit der Eingabe damit, dass die EKD-Orientierungshilfe ›Familie‹ vom 19. Juni 2013 weiterhin im Raum stehe. Bisher habe der Rat der EKD nicht entschieden, wie nach den „heftigen Protesten“ mit dem ›Familienpapier‹ umgegangen werden soll.

Für die Initiative stelle sich die Frage: „Bleibt nun die vom EKD-Rat veröffentlichte »Orientierungshilfe Familie« in unveränderter Form gültig, werden Korrekturen, Reparaturen, Ergänzungen, Anhänge folgen oder gibt es eine grundlegend neue Denkschrift?“ Die Veranstaltung eines theologischen Symposiums, wie es vom Ratsvorsitzenden der EKD angekündigt wurde, hält die Initiative nicht für ausreichend, wie die Forderung in der Eingabe, eine neue Kommission einzusetzen, zeigt.

Die Eingabe an die Synode wird von „152 führenden Persönlichkeiten aus Kirche, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft“ unterstützt. Mittlerweile haben sich insgesamt 178 Personen aus der Mitte der Gesellschaft hinter Krabbes Protestnote gestellt. Zum Kreis der Unterstützer gehören Ärzte, Fürsten, Ingenieure, Juristen, Pädagogen, Pfarrer, Professoren, auch Theologie-Professoren, und ehemalige Bischöfe.

Darüberhinaus finden seit Wochen an vielen Orten in der Bundesrepublik Unterschriftensammlungen statt. Krabbe spricht davon, dass sich diese Sammlungen zu einem Selbstläufer entwickelt haben. „Wer will, kopiert das entsprechende Formular aus dem Internet (www.ekiachern.de), sammelt Namen und schickt es direkt ans EKD-Kirchenamt nach Hannover“, so Krabbe. Die Sammlung von Unterschriften könne noch bis Ende Oktober weiterlaufen, bevor die am 7. November die Tagung der EKD-Synoden in Düsseldorf beginne.

Ergänzung 29.9.2013:

http://www.medrum.de/content/im-gespraech-bleiben   (29.9.):

Zum Ergebnis des Theologischen Symposiums über die Orientierungshilfe Familie des Rates der EKD

(MEDRUM) Der Vorsitzende des Rates der EKD, Präses Nikolaus Schneider, meinte nach dem Theologischen Symposium zur Orientierungshilfe Familie, das am Samstag in Berlin stattfand, man müsse im Gespräch bleiben. Das geht aus einer Pressemitteilung hervor, die die EKD nach dem Symposium herausgegeben hat.

Sonnabend, 28. September 2013, Französische Friedrichstadtkirche zu Berlin: Hier findet das vom Ratsvorsitzenden der EKD zur Orientierungshilfe Familie angekündigte Theologische Symposium statt. Vier Gelehrte der Theologie halten Vorträge:

  • Prof. Dr. Wilfried Härle (Universität Heidelberg)
  • Prof. Dr. Klaus Tanner (Universität Heidelberg)
  • Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Horn (Universität Mainz)
  • Prof. Dr. Christine Gerber (Universität Hamburg)

Knappe vier Stunden dauert das Symposium. Insgesamt etwa 150 Teilnehmer wohnen der Veranstaltung bei. Am Ende der Veranstaltung meint der Ratsvorsitzende: Das Symposium habe gezeigt, dass man in Fragen der Schriftauslegung wie in Fragen der Institutionenethik weiter im Gespräch bleiben müsse.

Prima, könnten die Kritiker des Familienpapiers …

Ergänzung 1.10.2013:

http://www.medrum.de/content/gender-ideologie-durch-die-orientierungshilfe-familie-als-hintertuer-in-die-ekd   (1.10.):

Die Kritik von Altbischof Wolfgang Huber zum Familienpapier der EKD verdeutlicht, weshalb das Papier auf massive Kritik stoßen muss, die nicht einfach kommunikativ behoben werden kann

Die Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat mit der Orientierungshilfe zum Thema Familie ein Papier herausgegeben, das nicht dem Auftrag entsprach, den die Kommission ursprünglich erhalten hatte. Dies geht aus einem Gespräch des ehemaligen Ratsvorsitzenden der EKD, Altbischof Wolfgang Huber, mit dem rbb hervor. Die Abweichung vom Auftrag hat Vorstellungen, wie sie in der herrschenden Gender-Ideologie vertreten werden, durch die Orientierungshilfe in der EKD Tür und Tor geöffnet. …

rbb: http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/zwoelfzweiundzwanzig/201309/193086.html   (21.9.)

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Ergänzung 5.6.2014:

Jonas Erne: http://www.jonaserne.net/Familienpapier_JE.pdf

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