Beschneidungsstreit: Uneinsichtigkeit, Unzugänglichkeit und Dialogverweigerung

Dennis Riehle kommentiert auf seinem Blog die Maischberger-Sendung vom 14.8. in der ARD:

… An Argumenten mangelte es vor allem denen, die die religiöse Beschneidung nicht anders als durch den Jahrhunderte alten Ritus zu rechtfertigen wussten. Vorsitzender Graumann sprach von einem guten Land, in dem Organisationen, die sich gegen die Verstümmelung von Jungen einsetzten, die Gemeinnützigkeit versagt bleibe.

… Geschichten von Menschen, die in jungen Jahren beschnitten wurden und bis heute unter vor allem seelischen Konsequenzen litten, wurden von den religiösen Repräsentanten in der Runde ebenso kategorisch ignoriert wie der Verweis auf das grundgesetzlich verankerte Recht auf körperliche Unversehrtheit. Man musste sowohl Graumann als auch Öney eine völlige Uneinsichtigkeit, Unzugänglichkeit und Dialogverweigerung konstatieren, wenn man sich im weiteren Verlauf stets neu den historischen Keulen und Totschlagargumenten ausgesetzt sah. Jüdisches und muslimisches Leben in der Bundesrepublik sei bedroht – mit derartiger Rhetorik der kompletten Unverhältnismäßigkeit und einer scharfen und nicht hinnehmbaren Nötigung all derer, die auf Grundlage der Meinungsfreiheit Kritik an Beschneidungen äußerten, versuchte besonders der Vertreter der jüdischen Gemeinde zu punkten.

In den letzten Wochen waren gerade Rabbiner in die Kritik geraten, die von der „größten Herausforderung nach dem Holocaust“ sprachen, als sie sich zum Beschneidungsurteil äußerten. Wer nur im Ansatz begriffen ist, derartige Parallelen auftun zu wollen, entwürdigt sich selbst und verlässt den Boden jeglicher Diskussionsfähigkeit.

… Wer andere Überzeugungen nicht gelten lassen und diese mit wahrhaft einfältiger Argumentation zurückweisen muss, der kann auch vor Gericht nicht standhalten mit einer Begründung, die weder stichfest noch greifbar ist, sondern lediglich aufrecht erhalten wird von einem Identitätsgefühl, das sich der Ausdrucksstärke unreflektierter Vorgaben aus Jahrtausenden bedient.

Das Kölner Urteil war daher nur konsequent …, um denen Grenzen aufzuzeigen, die die Säkularisation in diesem Land nicht wahrhaben möchten. Wer hier Religionsfeindlichkeit oder gar Antisemitismus vermutet, der kann lediglich die Absicht haben, Kritiker zu diffamieren.

… und psychoanalytisch ist die Beschneidung im Jungenalter der frühzeitige Raub jeglicher Würde, Freiheit und Selbstbestimmung, der über Jahrzehnte als Trauma und zurückgebildetes Selbstbewusstsein seinen Schaden hinterlassen kann.

… Die auch in der Sendung wiederholten Beteuerungen, jüdische und muslimische Eltern würden bei einem Beschneidungsverbot in Deutschland in ihre Heimatländer ausweichen, ist der unverantwortliche Versuch, die deutsche Justiz zu erpressen. Sie hat die Aufgabe, Rechtsstaatlichkeit in der Bundesrepublik herzustellen – und damit vielleicht auch exemplarische Vorbildhaltung einzunehmen. Denn bei einer bröckelnden Befürwortung der Beschneidung innerhalb der eigenen Religion werden sich auch jüdische und muslimische Verbände mit zunehmender Gegenwart einer Überprüfung von Regeln stellen müssen.

… . Und so manche Kritiker der religiösen Praktik haben recht, wenn sie die Religionen mit ihren eigenen Mitteln schlagen: Hätte Gott beschnittene Jungen gewollt, hätte er sie so zur Welt gebracht…

Siehe auch: https://kreidfeuer.wordpress.com/tag/beschneidung

Ergänzung 17.8.2012:

Klaus Kocks kommentiert in http://starke-meinungen.de/blog/2012/07/01/beschneidungen-sind-kriminell/:

… Es handelt sich archetypisch um eine rituelle Kastration, die kulturhistorisch auf einen rituellen Kindesmord zurückgeht. Man zelebriert etwas aus den archaischen Zeiten der Menschenopfer, mit denen man böse Götter zu besänftigen dachte. Das Kainszeichen der symbolischen Verletzung sollte den anderen Überlebenden zeigen, dass man Opfernder und nicht zu Opfernder sei, dass man so gezeichnet ein Überlebensrecht habe. Das alles liegt historisch vor dem Ursprung der monotheistischen Religionen. Archaischer geht es nimmer.

Pressemitteilung der Republikaner: http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/republikaner_fuer_die_natur_den_rechtsstaat_und_gegen_sonderbehandlung/ (14.7.):

Beschneidungsgesetz ist das falsche Signal

Rolf Schlierer: „Sondergesetze höhlen Rechtsstaat aus“

Die Republikaner haben die Ankündigung der Bundesregierung kritisiert, das Beschneidungsurteil des Kölner Landgerichts durch ein Gesetz zur Zulassung der religiös motivierten rituellen Beschneidung minderjähriger Jungen auszuhebeln. „Sondergesetze zugunsten von Ansprüchen einzelner religiöser Gruppen und Lobbies höhlen die Substanz des Rechtsstaats aus“, sagte der Bundesvorsitzende der Republikaner Rolf Schlierer. Es sei bedauerlich, dass die europäischen Rabbiner die Bundesregierung mit dem Auffahren schwerster moralischer Geschütze und unfairer Vergleiche unter Druck gesetzt hätten, statt die Gelegenheit zu nutzen, ihre eigenen Traditionen kritisch und aufgeklärt zu hinterfragen, ob diesen nicht auch Genüge getan werden könne, wenn man die Entscheidung über die Vorhaut-Amputation dem freien Willen des erwachsenen Menschen überlasse.

Schlierer kritisierte die Heuchelei insbesondere rot-grüner Politiker, die vorgäben, sich für die Interessen der jüdischen Religionsgemeinschaft in die Bresche zu schlagen, während es ihnen in Wahrheit um die Anbiederung an muslimische Lobbygruppen gehe. …

Gideon Böss: http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/gott_bitte_melden/  (16.07.):

… oder dass dieses Urteil schlimmer ist als der Mord an Juden. Für die Konferenz Europäischer Rabbiner ist dieses Urteil gar die größte Bedrohung jüdischen Lebens seit dem Holocaust. Noch größere also als der Antisemitismus, der in Europa längst wieder zu Mord und Vertreibung an Juden führt.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der man zum sozialen Außenseiter wird, wenn man erwähnen würde, seinen Sohn hin und wieder mit einer Ohrfeige zu züchtigen. Gewalt gegen Kinder ist mittlerweile ein Tabu. Ist es da wirklich so unvorstellbar, weswegen eine Debatte um die Frage geführt wird, ob man mit scharfen Messern das Geschlechtsorgan von kleinen Kindern bearbeiten muss? Eigentlich ist es eher erstaunlich dass es trotz des Siegeszugs der antiautoritären Erziehung so lange dauerte, bis das Thema aktuell wurde. …

Hannes Stein: http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/juden_raus/  (22.7.):

… Kinder hätten ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Nein, das haben sie nicht. Kinder haben ein Recht auf ein Dach über dem Kopf; auf Essen; auf Zuwendung; sie haben ein Recht, nicht geschlagen oder anders misshandelt zu werden.

Sie haben kein Recht auf körperliche Unversehrtheit.

… Deutschland dagegen ist und bleibt das Land, das Janusz Korczak und seine Kinder ins Gas geschickt hat.

… Post Scriptum: Ein Gutes hat der Sturm aus Scheiße, der da grade über uns hinweggeht, immerhin. Noch nie habe ich mich meinen muslimischen Brüdern und Schwestern so nahe gefühlt wie jetzt. …

Es geht aber auch vernünftiger:
Gil Yaron: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-unsere-seltsame-tradition-11827726.html  (21.7.):

… Das Urteil der nichtjüdischen Richter in Köln sollte Anlass für zwei urjüdische Akte sein: nachdenken und diskutieren. Wir brauchen keine Rechtssicherheit, sondern eine Denkpause. Juden sollten die kommenden 15 Jahre in Deutschland nutzen, um sich zu vergegenwärtigen, warum sie ihre Söhne beschneiden: ob sie das wirklich wollen oder nur aus Angst davor tun, anders zu sein. Die Feier des Brith am achten Tag nach der Geburt könnte ein wichtiger symbolischer Akt werden, in dem der Vater nicht seinen Sohn zu seiner Religion verdonnert, sondern sich selbst dazu verpflichtet, ihm ein bedeutungsvolles Judentum vorzuleben und zu übermitteln.

Wenn meine Erziehung zum Judentum dazu führt, dass mein Sohn eines Tages als mündiger, überzeugter Jude von seinem Vater fordert, ihn endlich zu beschneiden, dann werde ich seinen Wunsch erfüllen, mit Liebe, Stolz und Schmerz. Aber nicht früher.

Ein Kommentator im Politik-Forum:

… Viele strenggläubige Baptisten sind der Meinung, dass der staatliche Sexualkundeunterricht strikt gegen ihren Glauben verstößt. Sie beantragen deshalb bei den Schulen eine Befreiung ihrer Kinder von diesem Unterricht, aus religiösen Gründen. Der Staat zeigt sich da bisher vollkommen kompromisslos und besteht darauf, dass Baptisten ihre Kinder in den staatlichen Sexualkundeunterricht schicken.
Wenn die Eltern sich dann aus religiösen Gründen, wegen ihres christlichen Glaubens dazu gezwungen sehen ihre Kinder trotzdem nicht zum Sexualkundeunterricht zu schicken, werden die Kinder von der Polizei in die Schule gekarrt, die Eltern erhalten extrem hohe Geldstrafen, manchmal auch Beugehaft und im schlimmsten Fall entzieht der Staat den Eltern die Kinder und steckt sie ins Heim.
Wie gesagt, da geht es nicht darum dem Kind irgendwelche Körperteile aus religiösen Gründen abzuschneiden, es geht um eine Befreiung von ein paar wenigen Schulstunden zum Thema Sex.

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