23.1.1974: Ein schwarzer Tag für Österreich

MMag. Wolfram Schrems veröffentlichte in der HLI-Schrift „Ja zum Leben“ Nr. 5 vom 9.1.2014 eine informative Zusammenfassung der damaligen Ereignisse und schlägt einen Bogen zur Gegenwart:

Zum Fristenlösungs-Beharrungsbeschluss im Nationalrat

Als der österreichische Nationalrat am 29.11.73 mit den Stimmen der SPÖ gegen ÖVP und FPÖ mit knapper Mehrheit (93 zu 88) das Fristenlösungsgesetz (§ 97 StGB) durchdrückte, war die Empörung im Volk groß. Wie heftig dieses Gesetz gegen den gesellschaftlichen Konsens verstieß, sah man am massiven Protest im Parlament und auf der Straße. Daß plötzlich die Wehrlosesten, die ungeborenen Kinder im Mutterleib, der Willkür ihrer Eltern und von deren Einflüsterern ausgeliefert sein und keinen Schutz des Gesetzes mehr haben sollten, wurde von der großen Mehrheit zu Recht als Ärgernis empfunden (daher dann auch die enorm große Beteiligung am Volksbegehren gegen die Fristenlösung der Aktion Leben 1976 mit knapp 900.000 Unterschriften).

Im Parlament bildete sich Widerstand, indem die zweite Kammer (der Bundesrat, in dem die ÖVP die Mehrheit hatte) Einspruch gegen das Fristenlösungsgesetz einlegte. Die Debatte im Bundesrat am 6. Dezember 1973 geriet sehr emotional. Der Einspruch des Bundesrates wurde jedoch durch den Beharrungsbeschluß des Nationalrates am 23.01.74 vom Tisch gefegt (92 SPÖ gegen 89 ÖVP/FPÖ). Eine knappe parlamentarische Mehrheit hebelte das Gespür für Richtig und Falsch aus, zerstörte damit auch den gesellschaftlichen Konsens und lehnte sich gegen das Gebot Gottes auf.

Die Argumente der damaligen ÖVP- und FPÖ-Politiker sind es wert, sie sich noch einmal vor Augen zu führen. Beide Parteien wären gut beraten, auf ihre Abgeordneten von damals zu hören. Die (direkten und indirekten) Zitate sind wiederum dem wichtigen Buch von (Rektor, Prälat, Dr.) Raimund Sagmeister, Fristenlösung – Wie kam es dazu?, Pustet, Salzburg-München 1981, entnommen (Hervorhebungen WS).

Die Debatte im Bundesrat zeigt ein geistiges, intellektuelles und moralisches Niveau der damaligen Politiker, von dem wir heute weit entfernt sind. Die Tragik der „Modernisierung“ Österreichs unter Bundeskanzler Kreisky liegt genau darin, daß im Gefolge der Strafrechtsreform von Christian Broda, vor allem eben der Fristenlösung, eine unglaubliche moralische Verrohung eingetreten ist. Im Gefolge eines marxistisch orientierten Kulturkampfes (Medien, Schulen, Universitäten) kam es zu einem massiven intellektuellen Niedergang. Sagen wir es etwas brutal: Verdummte Massen sind eben leichter zu kontrollieren.

Aus der Bundesratsdebatte einige wichtige Beiträge

Ein Bekenntnis zum Naturrecht untermauerte Rechtsanwalt Dr. Jörg Iro (OÖ, Hauptsprecher der ÖVP-Bundesräte) mit folgenden Feststellungen: „Die Grundsätze des Strafrechts sind nicht gleichzusetzen mit den Grundsätzen der Moral. Nicht alles ist strafbar, was unmoralisch ist, und umgekehrt. (…) Es gibt aber ewig gültige Rechtsgüter, die vom Staat zu schützen sind, die für jeden Menschen erkennbar sind, absolute Werte, die nicht relativiert werden können. Ein staatliches Gesetz aber, das den natürlichen Rechtsgrundsätzen widerspricht, schafft nicht Recht, sondern Unrecht. Nur die Anerkennung des Naturrechtes bietet den Bürgern eines Staates Schutz vor der Manipulation des Rechtes durch die jeweils Mächtigen.

Iro sah ganz richtig, daß die Freigabe der Abtreibung mit innerer Notwendigkeit zur „Euthanasie“ führen wird. Wenn das Leben an einem Punkt in Frage gestellt wird, führt das immer weiter: „Die Gefahr für das Rechtsbewußtsein der Unantastbarkeit des Lebens: Der Anfang des Lebens wird willkürlich festgesetzt. Wo ist aber dann das Ende des Lebens, wenn man seinen Anfang durch einen einzigen Federstrich festsetzt?

=> Die gegenseitige Beeinflussung von Gewissen, Unrechtsbewußtsein und Gesetzgebung wurde klar ausgesprochen:

„Wie es eine normative Kraft des Faktischen gibt, eine Beeinflussung der Gesetzgebung durch die faktische Entwicklung, durch das Rechtsbewußtsein, die Praxis, die Judikatur, die Auffassung der Bevölkerung, gibt es auch eine faktische Kraft des Normativen. Gesetze, von denen eine bestimmte Tendenz ausgeht, beeinflussen auch das Rechtsbewußtsein der Bevölkerung.

Bundesrat Ing. Helmut Mader (ÖVP, Tirol) wandte sich scharf gegen die verwirrenden Schlagworte der sozialistischen Propaganda, die die Ausdrücke „Menschlichkeit“ und „sozial“ mißbrauchte: „Im Gegensatz zur Regierungspartei habe ich allerdings unter dem Begriff ,Menschlichkeit‘ einfach nicht die Preisgabe menschlichen Lebens subsumieren können und unter dem Begriff ,sozial‘ nicht die Vernichtung als Ausfluß vorsorgender Hilfestellung oder Vorbeugung.“

Und weiter im Bericht von Sagmeister: „Der Satz ,Mein Bauch gehört mir‘ ist nach Meinung von Ing. Mader nicht nur ein irrig angewandtes Argument, sondern gehört zu den widerlichsten Aussagen, die er je aus dem Munde weiblicher Personen gehört habe. Es ist makaber, wenn von sozialistischen Funktionärinnen ausgerechnet an der falschesten Stelle mit jenem Eigentumsbegriff gearbeitet wird, den sie sonst nur diskriminieren. (…) Nach den Aussagen der Ärzte läßt sich keine Zäsur im kontinuierlichen Prozeß der Entwicklung des menschlichen Lebens feststellen. Die Frist von drei Monaten ist völlig willkürlich gesetzt worden. Welcher Unterschied besteht darin, ob das sich entwickelnde Geschöpf früher oder später umgebracht wird?“

Ein besonders krasses Beispiel für die Pseudo-Argumente der SPÖ zugunsten der Fristenlösung war, daß die „Mutter auch noch keinen seelischen Kontakt mit dem Kind (habe). Nicht nur äußerlich merkt man ihr die Schwangerschaft noch nicht an, auch innerlich, seelisch hat sie sie noch nicht vollzogen“ (SPÖ-Bundesrätin Dr. Hilde Hawlicek, später Unterrichtsministerin (!)).

=> Bei der Debatte am 23. Jänner 1974 im Nationalrat, bei der der Beharrungsbeschluß getroffen wird, sagt die ÖVP deutlich: „Zur höchsten Aufgabe des Staates gehört es, menschliches Leben zu schützen, gerade dann, wenn es sich selber nicht wehren kann.“

Und sehr aktuell für unsere eigene Zeit: „In der Zukunft auftretende Befürworter einer Beseitigung von hoffnungslos dahinsiechenden Kranken könnten in der ersten Durchbrechung des Lebensschutzes durch die Fristenlösung eine willkommene Rechtfertigung finden.“

Auch die FPÖ-Abgeordneten Dr. Tassilo Broesigke (nachmaliger Präsident des Bundesrechnungshofes) und Dr. Otto Scrinzi (Primararzt für Neurologie und Psychiatrie) treten mit starken rechtlichen Argumenten bzw. ärztlicher Erfahrung gegen die Fristenlösung ein.

Dank der von der SPÖ eisern eingesetzten Klubdisziplin (der jetzige Bundespräsident Dr. Heinz Fischer war SPÖ-Klubsekretär) und ihrer Taubheit gegenüber allen Argumenten und Appellen an das Gewissen wiederholt aber der Nationalrat mit 92 (SPÖ) Ja-Stimmen gegen 89 (ÖVP/FPÖ) Nein-Stimmen den ursprünglichen Gesetzesbeschluß, gegen den der Bundesrat Einspruch erhoben hatte.

Ein wichtiger Aspekt des geistigen Kampfes um das Leben soll in diesem Zusammenhang in Erinnerung gerufen werden: Es gibt seit den 50er Jahren ein verstärktes Einströmen marxistischer Ideologie in den Innenraum der Kirche (Befreiungstheologie, Arbeiterpriester, „friedliche Koexistenz“ u. dgl.). Unter dem Schlagwort des „Dialogs“ oder der „Zusammenarbeit“ wurden Glaube und Kirche durch sozialistische Ideen infiziert. Eines der Vehikel der Subversion in Österreich ist (neben anderen) die Arbeitsgemeinschaft für Christentum und Sozialismus (heute Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie, ACUS), die zur Pro-Abtreibungs-Front in Österreich gehört (inklusive Teilnahme an Demonstrationen gegen Lebensschützer).

Sagmeister schreibt über deren Unterstützung für den Fristenlösungsbeschluß: „A. Strobl von der Arbeitsgemeinschaft für Christentum und Sozialismus betonte, daß Abtreibung weder eine gesellschaftspolitisch wünschenswerte noch medizinisch empfehlenswerte Methode der Geburtenkontrolle oder Geburtenregelung sei. (…) Als Katholik lehne er persönlich die Abtreibung ab, sagte Strobl, er wisse aber, daß ein Teil der Bevölkerung Österreichs der Ansicht sei, man könne eine Frau nicht unter allen Umständen zur Entbindung zwingen. Hier stehe also die Gewissensentscheidung eines Teiles der Bevölkerung gegen die Gewissensentscheidung eines anderen Teiles. Dem Staat falle die Aufgabe zu, beide Ansichten, soweit sie nicht gesellschaftszerstörend sind, zu respektieren und zu garantieren“.

Man sieht hier, wie sich die Illusion einer christlich-sozialistischen „Zusammenarbeit“ verheerend auswirkt und die moralische Integrität untergräbt: Lächerlich, im Fall der Abtreibung von „Gewissensentscheidung“ zu reden!

Eine wichtige Stimme aus dem protestantischen Raum trat massiv für den Lebensschutz ein:

=> Oskar Sakrausky, „Landesbischof“ der evangelischen Kirche in Österreich, wandte sich am 25. Jänner 1974 in einem Brief in scharfer Form an Bundeskanzler Kreisky:

„Die Entscheidung unseres Nationalrates (…) über die straffreie Zerstörung menschlichen Lebens im Mutterleib während der ersten drei Monate der Schwangerschaft ist ein solcher Tiefpunkt in der Rechts- und Geistesgeschichte Österreichs, daß er sich nur mit der Einführung der Nürnberger Gesetze durch die nationalsozialistische Regierung in Österreich vergleichen läßt. Die höchste gesetzgebende Versammlung Österreichs, in die wir die Vertreter unseres Volkes gewählt haben, hat ihre eigene christliche Gewissensbildung außer acht gelassen und sich gegen die Grundlage des christlichen Glaubens, die Lehre von dem Dreieinigen Gott gestellt! Wenn sich die kleine, aber entscheidende Mehrheit der gesetzgebenden Körperschaft des österreichischen Staates offen von den Grundlagen unserer Gesellschaft abwendet, wird dies sehr bald an vielen Stellen der staatlichen Gesetzgebung und Verwaltung offensichtlich werden (…).“

Seitdem wird dieses Thema selten angerührt. Die Strategie, diese wichtige Materie in den 70er Jahren aus dem Wahlkampf herauszuhalten (1975 und 1979), hat sich als fatal erwiesen. Dadurch wurde die Fristenlösung gleichsam zementiert. Bis in die 80er Jahre hinein wäre dieses Gesetz sicher zu kippen gewesen, vermutlich sogar später. Verhindert wurde die Verteidigung des Lebens durch die Katholiken im wesentlichen von Kardinal König, dem das Einvernehmen mit Sozialisten und Freimaurern offensichtlich wichtiger war als der Lebensschutz.

Aus den letzten Jahren ist allenfalls die Initiative von FPÖ-Frauensprecherin NAbg. Carmen Gartelgruber nennenswert, die im Namen des Freiheitlichen Parlamentsklubs am 17.02.11 zu einer Enquete mit dem Titel „Lebenswert“ ins Palais Eppstein lud, „wo namhafte Vertreter über die Gefahren der Fristenlösung sprachen“ (so der FPÖ-Pressetext). Das hat wenigstens die Schweigespirale kurzfristig durchbrochen.

In den Wahlkämpfen spielt der Schutz der Ungeborenen aber praktisch keine Rolle.

Daher ist auch der 23. Jänner ein Tag der Schande für unser Land. Die Entwicklung lief genauso weiter, wie es die Politiker der ÖVP und FPÖ vorhergesagt haben: größerer Druck auf die Frauen, Abtreibungskommerz, Verrohung der Gesellschaft, „Euthanasie“ (mehr oder weniger „freiwillige“) als innere Konsequenz der Aufgabe des Lebensschutzes, Niedergang der Nation, persönliche Schuld, Glaubensabfall, Verzweiflung, Tod.

Wir fordern daher die österreichischen Bischöfe auf, das Unrecht der Fristenlösung, speziell auch den Beharrungsbeschluß im Nationalrat, im Sinne der Fatima-Botschaft durch einen Aufruf zur Gesinnungsänderung, zur Umkehr, zu Gebet und Fasten im Jahr 2014 zu sühnen. Gott wird dem straflosen Morden nicht endlos zuschauen. Das Blut der Ungeborenen schreit zum Himmel.

Wir appellieren an den Gesetzgeber, den gesetzlichen Schutz des Lebens des Menschen in seinen frühesten Stadien wieder zu garantieren und damit die Ehre des österreichischen Nationalrates wiederherzustellen.

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Ergänzung 31.1.2014:

http://lepenseur-lepenseur.blogspot.co.at/2014/01/heute-vor-vierzig-jahren.html   (23.1.):

Je nach Schätzung wird in Österreich von 30.000 bis 60.000 solcher Abtreibungen jährlich ausgegangen (selbst einer der prominentesten Abtreibungslobbyisten, der Wiener Gynäkologe und Betreiber einer Abtreibungsklinik Dr. Christian Fiala, räumt »20.000–30.000« pro Jahr ein). Das macht in den letzten vierzig Jahren — selbst bei Fialas bewußt niedriger Schätzung — ca. 800.000 Abtreibungen, wahrscheinlicher aber 1,2 bis 2 Millionen Abtreibungen aus. Zum Vergleich: Österreich zählte 2013 rund 8,2 Millionen Einwohner, sodaß also die Abtreibungen seit 1974 etwa 1/7 bis 1/4 (!) der heutigen Gesamtbevölkerung ausmachen. Dafür wurden im gleichen Zeitraum etwa ebensoviele Einwohner importiert — quasi frei nach dem Motto »Inder statt Kinder«, nur daß unsere Inder eben nicht aus Indien, sondern vom Balkan, aus Anatolien, dem Nahen Osten und Nordafrika kamen.
Genaue Zahlen der jährlichen Abtreibungen sind nicht verfügbar, da die — praktisch allesamt stramm rot eingefärbten — Gebietskrankenkassen und städtischen Gesundheitsverwaltungen seit Beginn jegliche statistische Erfassung der Abtreibungszahlen zu verhindern wußten — unter dem lächerlichen Vorwand, man wolle »die Frauen nicht unter Druck setzen« (obwohl in Wahrheit höchstens die Abtreibungsärzte dann weniger »schwarz« machen könnten). …

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